Zerstreute Formen und Rauchskulpturen

Anmerkungen zu I.N. Kjærs As to ”and days with Henrietta”

Ed. Martin Hentschel: Out of the North. Contemporary Art from Denmark and Sweden. Württembergischer Kunstverein Stuttgart 24. September bis 15. November 1998, Stuttgart 1998, pp. 65–69.


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I. N. Kjær: As to ‘and days with Henrietta’, 1997, mixed media, 300 × 300 × 370 cm.

1994 schrieb I. N. Kjær einen Text über „Die Inhalation des Massiven“, der vom Primar­rauchen, Gegenstand und Tod, inhalatorischen Zwang und dem rauchenden Körper handelt. Dieser Text ist praktisch unlesbar, was nicht heißt, daß er nichts besagt. Doch seine Sprache gleicht der formalen Sprache in As to „and days with Hen­rietta“, und diese Ähnlichkeit wirft vielleicht einige Fragen auf über das Verhältnis zwischen der Form und ihren Filtern sowie der Zirkulation und ihren Hindernissen.

Sozial zu sein bedeutet, qualifiziert zu sein, mit anderen sozial qualifizierten Wesen zu kommunizieren, d.h. an der Zirkulation von Bedeutung teilzunehmen. Asoziale Person­en sind also diejenigen, die nicht zur sozialen Interaktion qualifiziert oder von ihr dis­quali­fiziert sind. Dies ist nicht dasselbe wie anti-sozial zu sein, was sich auf den Wunsch be­zieht, sich von der sozialen Interaktion fernzuhalten, wie es Flüchtende, Kriminelle, Asketen und andere Fanatiker tun. Dennoch sind Flüchtende, Kriminelle und Fana­ti­ker in sozialer Hinsicht von Interesse: es gilt, sie zu fangen, zu bestrafen oder von der Über­legenheit der sozialen Interaktion zu überzeugen und sie wieder in die sozialen Trans­aktionen zu integrieren.

Das asoziale Wesen oder Verhalten wird von der sozialen Interaktion und der Zirkula­tion der Formen in gewisser Weise widerstrebend umgangen; dies geschieht ohne jede Dialektik. Das asoziale Wesen oder Verhalten ist eine lose, stumpfe und geistes­ab­wesen­de Parallele zu qualifizierten Personen oder Verhaltensweisen. Dasselbe läßt sich offen­bar auch auf Formen übertragen: Wenn Formen qualifizierte Objekte sind, d.h. Objekte mit einem ästhetischen Mehrwert, dann sind Anti-Formen in diesem Sinne formale Kri­mi­­nelle, Asketen oder Flüchtende – die uns alle aus der heroischen Avantgarde be­kan­nt sind – und insofern qualifizierte Formen, wenn auch negativ quali­fi­ziert. For­men ohne Qua­lifikation müssen dann, wenn meine Überlegung soweit kor­rekt ist, stump­fe, lose und zerstreute Formen sein. Stumpf wie Plastik, lose wie Rauch und zer­streut arti­ku­liert: So wie Kjærs berüchtigte Begriffe von „Inter-Objekt­a­li­tät“ und von „ein­einhalb Fern­sehern“, welcher in einem weiteren Sinn auch „eineinhalb Skulpturen“ im­pliziert.


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I. N. Kjær: On/Off Sculpture, 1993, mixed media, dimensions variable.

Die Idee von „eineinhalb Skulpturen“ beschäftigt den Künstler schon seit einiger Zeit, so zum Beispiel in seiner on/off Sculpture von 1993. Diese Skulptur war im Grunde keine Gegenreaktion auf die Tradition der minimalistischen Skulptur oder der radikalen Malerei, sondern eine unscharfe Version dieser Traditionen. Die Bildebene bestand zum Teil aus der dunklen Mattscheibe eines ausgeschalteten Fernsehers oder aber aus dem elektronischen Rauschen eines eingeschalteten, aber ‘zerstreuten’, d.h. an keine Antenne angeschlossenen Fernsehers. Die Form war kubisch im Verhältnis 2 : 1 : 1 – eine typisch minimalistische Proportion, könnte man sagen – so wie Fernseher oft wie eine dilettantische Version von Minimal Art erscheinen und Industriedesigner häufig den Eindruck von verunglückten Minimal-Art-Künstlern machen. Die Unendlichkeit der minimalistischen Skulptur findet so ihre zerstreute Version in der Idee von „eineinhalb“ Skulpturen.


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I. N. Kjær: ECHO/Selected Space, 1993, photograph, dimensions variable.

Ging es der Minimal Art darum, eine Formensprache zu erfinden, die auf primären Eigen­schaften beruht, eine Qualifikation reiner Formen als ein Modus der ästhetischen Kommunikation, so steht As to „and days with Henrietta“ in keinem Gegensatz zur forma­len Sprache beispielsweise der Minimal Art, sondern scheint eher eine zerstreute Version dieser formalen Sprache zu sein, die den Grundgedanken von deren formaler Grammatik völlig verfehlt. Tatsächlich sieht man keinen Gegensatz, keine Umkehrung und keine Ironie, sondern nur dieselbe enigmatische Stumpfheit, die wir von Geistes­kranken oder häufiger von geistesabwesenden Menschen kennen: eine Art irritierender In­differenz. Du versuchst, die diffus artikulierte ‘Skulptur’ zu erfahren. Sie reagiert nicht. Das semi-sichtbare, überdimensionierte Objekt steht in deinem Weg und in deinem Blick. Du reagierst nicht.

In dieser Situation formaler Asozialität und Stumpfheit verhalten sich die Objekte zum Blick wie die Luft zur Atmung und das Sprechen zur Bedeutung. Die Welt ist nicht ungegenständlich, doch die Objekte ersticken, und die Subjekte rauchen. Es ist eine unscharfe, verqualmte und lärmende Welt, voller Verzerrungen und Filter, die den Beziehungen zwischen Subjekten und Objekten einen lächerlichen und zwanghaften Anschein verleihen.


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I. N. Kjær: Dead Beat Icon, 1993, photograph, dimensions variable.

Die ‘inter-ob­jektale’ Plastikfolie in As to „and days with Henrietta“ entspricht dem, was das Rauchen für die Atemorgane und das Sprechen für das Hervorbringen von Be­deut­ung ist. Rauchen und Sprechen stehen in einer, wenn nicht komplizierten, so zumindest verwickelten Beziehung zueinander. Der in­te­res­sante Aspekt am Rauchen und Sprechen ist, daß beide dieselben Organe des Körpers nutzen, um Luft mit Bedeutung zu ver­bin­d­en. Diese Verbindung, manchmal auch Verwirrung, wird vor allem dann bewußt, wenn die Zirkulation der Luft oder der Bedeutungen gestört oder behindert wird. Über­mäßiges Sprechen und übermäßiges Rauchen erzeugen, wie allgemein bekannt ist, ähn­liche Effekte: Husten, Trockenheit, Isolation und Sucht; doch auch unter normalen Umständen führen Rauchen und Sprechen unvermeidlich zu kurzen Momenten der Luftknappheit, nutzen sie den Atemvorgang als Vehikel für die Verzerrung und Er­zeu­g­ung einer amorphen ‘Inter-Objektalität’: Rauch, schlechter Atem und all die merk­wür­di­gen gutturalen Laute, die die Zirkulation von Luft und das Hervorbringen von Be­deu­tung gelegentlich begleiten. In dieser Welt rauchen wir alle, leiden an schlechtem Atem und erzeugen gutturale Laute – dies ist der formale Leim, dessen es für unsere Existenz und unsere Teilnahme an sozialen Transaktionen bedarf.

Bei einem Gespräch zu rauchen kann folglich eine gute Idee sein, wenn man seinen Worten einen ästhetischen Mehrwert verleihen möchte. Mit der unschuldigen Er­wei­te­r­ung seines Atemarsenals um eine Zigarette, Pfeife oder Zigarre kann man ihnen leicht einen besonderen nervösen, arroganten, eleganten oder rüden Anklang geben. Man könnte sogar sagen, daß der Rauch den Worten Gewicht und Form mitteilt, wenn auch nur leichtes Gewicht und amorphe Form. Andererseits kann man, wenn man nicht bei der Sache ist und das Gerede des Gesprächspartners unverständlich findet, an seiner Zigarette ziehen und den bedeutungslos gewordenen Klang der Worte quasi im Rauch aufgelöst inhalieren. Ich vermute, daß Kjær mit dem unschönen Titel „Die Inhalation des Massiven“ auf etwas derartiges anspielt. Natürlich hat dies nichts mit dem Rauchen zu tun, sondern bezieht sich auf die skulpturale Gestaltung der sozialen Sucht: das zwang­hafte Inhalieren des Sozialen. Die Gleichung könnte wie folgt lauten:


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Figur.



wobei die erste Proposition sich auf die soziale Interaktion in Gesprächen bezieht und die zweite auf die Produktion von Formen.

Dies, würde ich sagen, ist nicht nur eine perfekte Erklärung, weshalb wir nach Zi­ga­ret­ten süchtig sind (was trivial ist), sondern auch, weshalb Skulpturen, die sich auf das Soziale beziehen, uns in ihrer Indifferenz und formalen Zwanghaftigkeit so irri­tie­ren.

aus dem Englischen von Christoph Hollender

Jan Bäcklund